Crowley und der Neo-Satanismus

12. Februar 2011
Für den Satanismus der Moderne ist die Person des Okkultisten und Schwarzmagier’s
Aleister Crowley (12.10.1875–1.12.1947) von entscheidender Bedeutung.
Crowley, im strengen Sinn kein Satanist11, hielt sich, obwohl schon sieben Monate
nach dessen Tod geboren, für die Reinkarnation des berühmten Okkultisten Eliphas
Levi12. Crowley wuchs in einer bigotten, puritanisch ausgerichteten Familie, die Mitglieder
der „Plymoth Brethren“ waren, auf. Das eigenwillig und vielleicht schwer
erziehbare Kind Edward Alexander wurde von der überforderten Mutter regelmäßig
mit dem Attribut „Beast“ aus der Johannesapokalypse (dort mit der mythologischen
Zahl 666 versehen und als Gegenspieler Gottes = Satan benannt) bedacht. Diesen
von seiner Mutter initiierten „Titel“ behielt er bis zum Tode unter der Bezeichnung
„To Mega Therion – The Beast 666“ bei. Vermutlich birgt die sexual- und
lebensfeindliche Erziehung den Grund für Crowleys sexualmagische Versuche und
(Opfer-) Rituale, die in ihrer Perversion (Sodomie, sexueller Mißbrauch und nicht
nachgewiesenen angeblichen Menschenopferungen13) kaum zu überbieten waren
und gegen jegliche gesellschaftlichen und christlich-religiösen Konventionen verstießen.
Wahrscheinlich mußte er u.a. deshalb als „Persona non grata“ seine 1920 in
Cefalu auf Sizilien gegründete „Abtei Thelema“ 1923 wieder verlassen.
Ein von Geldsorgen geplagter Crowley versuchte, hemmungslos schmarotzend auf
Kosten seiner Anhänger zu leben und reiche Frauen ausfindig und abhängig zu
machen, die seine Vorlieben finanziell unterstützten und deckten. Vermutlich beschäftigte
er sich deshalb auch mit dem Autor Abraham von Worms (gestorben
1458), der unter dem Namen Abra-Melin als Magier sein Unwesen trieb und angeblich
durch eine „magische Operation“ des dritten Buches in Besitz von drei Millionen
Goldstücken gelangte.14
Mit Crowley verliert der aus dem französischen Kulturraum stammende Satanismus
des 17. Jahrhunderts endgültig seine Bedeutung. Im Gegenzug gewinnt ein vom
anglo-amerikanischen Kulturraum geprägter Satanismus an Einfluß. Crowley ist bis
heute „spiritus rector“ und Ideenlieferant für eine Vielzahl von satanistischen Gruppen
und Organisationen mit ihren Ritualen geblieben. 1904 erhielt er in Kairo visio-
Crowley und der Neo-Satanismus 61
11 Sh. Massimo Introvigne, .Auf den Spuren des Satanismus., EZW-Materialdienst, S. 166, Stuttgart
6/1992 . ….Gleichzeitig kann man Crowley nicht im eigentlichen Sinn als Satanisten ansehen,
weil die okkulten Kräfte, die er erwecken will, nicht mit dem Teufel der Bibel identifiziert werden,
von dem er schlicht und einfach feststellt, er existiere nicht. (Aleister Crowley, .Magic in Theory
and Practice., S. 86, New York 1973)
12 Eliphas Levi: .Für die Initiierten ist der Teufel keine Person, sondern eine schöpferische Kraft,
zum Guten sowohl zum Bösen..
13 Aleister Crowley fodert im .Liber Al vel Legis. III, 12-13: .Opfert Tiere, kleine und große und
danach ein Kind aber nicht jetzt.
14 Sh. Harald Baer.s Aufsatz über .Satanismus. in .Unsere Seelsorge., Okt. 1986.
när eine Offenbarung von einem „Geistwesen“ Namens „Aiwaz“ (oder auch
Aiwass), einem Sendboten „Set’s“, dem König der Verwüstung und Zerstörung und
dem Mörder des Osiris. Die Offenbarung findet ihren Inhalt im Szene-Kultbuch
„Liber Al vel Legis“15 und soll im dreiteiligen Werk den hereinbrechenden neuen
„Äon des Horus“ proklamieren.
Aus seinem Liber OZ sub Figura LXXVI16 entstammen die als thelemitisches Gesetz
und als „Crowley-Charta“ bekanntgewordenen und bis heute bei den meisten Gruppen
und Organisationen (nicht nur den thelemitischen) als heimlich ideologisches
Leitmotiv akzeptierten Gedanken:
Das Gesetz des Starken: das ist unser Gesetz.
Und die Freude der Welt.
Tu was du willst, soll sein das ganze Gesetz.
Du hast kein Recht als deinen eigenen Willen zu tun.
Tue den, und kein anderer soll Nein sagen.
Jeder Mann und jede Frau ist ein Stern.
Es gibt keinen Gott außer dem Menschen.
Der Mensch hat das Recht, nach seinem
eigenen Gesetz zu leben.
Zu arbeiten wie er will,
zu spielen wie er will,
zu ruhen wie er will,
zu sterben wann und wie er will.
Der Mensch hat das Recht zu essen
was er will,
zu trinken was er will,
zu wohnen wo er will,
zu reisen auf dem Antlitz der Erde
wie er will
Der Mensch hat das Recht zu denken
was er will,
zu sagen was er will,
zu schreiben was er will,
zu zeichnen, malen, schnitzen,
ätzen, gestalten und bauen wie er will,
sich zu bekleiden wie er will.
Der Mensch hat das Recht zu lieben
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15 Buch des Gesetzes.
16 Zitiert bei Horst Knaut, .Das Testament des Bösen., S. 171f, Seewald 1979.
wie er will;
auch erfüllet euch nach Willen in Liebe,
wie ihr wollt, wann, wo und mit wem
ihr wollt!
Der Mensch hat das Recht all diejenigen
zu töten, die ihm diese Rechte zu nehmen
suchen.
Die Sklaven sollen dienen.
Liebe ist das Gesetz, Liebe unter Willen!
Hier wird defacto eine Zwei-Klassen-Gesellschaft ausgerufen: die „gods“ (Götter)
und das Palindrom dazu die „dogs“. „Die Dogs sollten machtlos dienen, die Gods regieren.
Wer nicht erleuchtet ist, gilt als Sklave durch eigenen Willen. Doch sollen unsere Sklaven
freie Männer sein. Aufstiegschancen gibt es freilich genug. Wer die schweren magischen
Prüfungen packt, kann sogar König werden, aus welcher Kaste er auch immer kommt. Aber
die meisten sind ja zufrieden, wenn sie ein Stück Fleisch auf dem Tisch und ein Weib im Bett
haben. Jeder tut eben, was er will: Laßt Schuster Schuster sein, Soldaten Soldaten, Physiker
Physiker, Priester Priester! Keine Arbeitslosenunterstützung! Wer zu schwach zum Überleben
ist, sei verdammt und tot! Amen.“17 Dieses thelemitische Gesetz zementierte ein
Unterdrückungssystem, das im Grunde genommen nur einen „God“ zuließ und das
war das „To Mega Therion – The Beast 666“18. Er bestimmte die „Richtlinien der
Politik“ und seinen Anordnungen, waren sie noch so unsinnig oder gefährlich,
mußte unbedingt Folge geleistet werden! Dazu dienten Übungen und Trainings, die
jeder durchlaufen mußte: von der Verpflichtung zur Führung des „magical record“,
ein Tagebuch, daß Crowley zur Begutachtung vorgelegt werden mußte, bis dahin,
das Zeitunglesen verboten war und Außenkontakte auf ein Minimum reduziert
wurden. Die Neophyten (1. Initiationsgrad) durften nicht das Unwort „Ich“ gebrauchen.
Bei Verletzung dieser Regel mußten sie sich mit einem Rasiermesser Schnitte
in den Unterarm zufügen.19
Crowley übernahm 1921 die Leitung des O.T.O. (Ordo Templi Orientis) vom damaligen
Agenten Theodor Reuß und verlagerten einen Teil der Aktivitäten in die USA
nach Kalifornien. In der Folge wurden aus der kalifornischen Sektion 40 „aktive
Abteilungen“ gegründet, die zum Teil bis heute noch präsent sind. 1947 starb Crowley
zweiundsiebzigjährig als Alkoholiker und geistig umnachtet.
Als eines der wichtigsten Dokumente des Crowley’schen Denkens, das heute in der
satanistischen Szene eine überragende Bedeutung spielt, gilt das „Liber AL vel
Legis sub figura“. In diesem dreiteiligen Werk behandelt und vermittelt er seinen
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17 Aus Josef Dvorak, .Satanismus . Schwarze Rituale, Teufelswahn und Exorzismus Geschichte und
Gegenwart., S. 123 f, München 3. Auflage 1994
18 A.a.O.
19 Sh. Harald Baer, a.a.O., S. 18
Anhängern über die Mythologie des Nuit, Hadit und Ra-Hoor-Khuit sein Menschenund
Gottesbild. So ist zum Beispiel im zweiten Kapitel zu lesen: …Nichts haben wir
gemein mit den Ausgestoßenen und den Jämmerlichen: Sollen sie in ihrem Elend
sterben. Denn sie fühlen nicht. Mitleid ist das Laster der Könige: tretet nieder die
Jämmerlichen & die Schwachen: dies ist das Gesetz der Starken: dies ist unser
Gesetz und die Freude der Welt: denke nach, o König, über diese Lüge: Daß Du
Sterben mußt: wahrlich, nicht sterben wirst du, sondern leben… Bemitleide nicht
die Gefallenen! Ich habe sie nie gekannt. Ich bin nicht für sie. Ich tröste nicht: Ich
hasse den Getrösteten & den Tröster. Und im 3. Kapitel erfahren seine Aussagen
noch eine Steigerung: …Die Frau soll mit einem Schwert gegürtet vor mich treten:
Blut soll in meinem Namen fließen. Stampfe nieder die Barbaren; komm über sie,
o Krieger, ich will dir ihr Fleisch zu essen geben. …Opfere Vieh, klein & groß:
nach einem Kind.
…Erbarmen laßt beiseite: verdammt die, die Mitleid haben! Tötet und foltert; verschont
nicht; kommt über sie! Und zu Opferritualen wird weiter ausgeführt: …Das
beste Blut ist das des Mondes, monatlich: dann das frische Blut eines Kindes, oder
Tropfen vom Meßopfer des Himmels; dann das von Feinden; dann das des Priesters
oder der Anbeter; schließlich das irgendeines Tieres, gleich von welchem.
Das Werk „Liber Al vel Legis“ ist in der Internet-Ausgabe noch mit einigen Kommentierungen
Crowleys versehen, die auf die Brisanz der Gesetzesschrift hinweisen.
Crowley hat wohl gewußt, daß er mit seinen Ausführungen kaum die Gesetzeslage
europäischer Staaten der damaligen Zeit auf seiner Seite hatte. Auch war es ihm
wahrscheinlich bewußt, das bei Anwendung der „Liber Al vel Legis“ psychisch
destabile oder leicht zu beeinflussende Menschen Schwierigkeiten bekommen müssen.
Deshalb lauteten seine eindringlichen Warnungen: „Tu was du willst, soll sein das
Ganze des Gesetzes. Das Studium dieses Buches ist verboten. Es ist weise, dieses Exemplar
nach dem ersten Lesen zu vernichten. Wer immer dies nicht beachtet, tut dies auf eigenes
Risiko und eigene Gefahr. Diese sind außerordentlich schrecklich. Jene, welche die Inhalte dieses
Buches diskutieren, sollen von allen gemieden werden, wie Zentren der Pestilenz. Alle
Fragen hinsichtlich des Gesetzes sind nur durch Konsultieren meiner Schriften zu lösen,
jedermann einzeln für sich selbst. Es gibt kein Gesetz außer Tu was du willst. Liebe ist das
Gesetz, Liebe unter Willen.“
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